Nebukadnezar
II.
Obwohl
sie die Hängenden Gärten der Semiramis heißen, gehen wir
im Allgemeinen davon aus, dass nicht Semiramis Schöpfer bzw. Auftraggeber
des Weltwunders war. Die meisten Archäologen sind sich einig: Wenn
jemand diesen Bau in Auftrag gab, dann war es Nebukadnezar II. In
seiner Regierungszeit (605 -562 v. Chr.) ließ er Babylon prachtvoll
ausbauen. Zahllose Inschriften zeugen von seiner Tätigkeit.
Für einen orientalischen Herrscher war die Errichtung eines Gartens
offenbar nichts ungewöhnliches. Im Falle Nebukadnezars besagt die
Legende allerdings, er hätte seiner Geliebten Amyitis zuliebe
die Gärten errichten lassen. Als Sprößling des medischen Herrscherhauses
war sie im Zuge einer dynastischen Verbindung nach Babylon gekommen.
Ihrer grünen und bergigen Heimat entrissen litt sie unter entsetzlichem
Heimweh. Obwohl die initialen Umstände nicht unbedingt auf eine
leidenschaftliche und romantische Liaison schließen lassen, schien
der Kummer seiner Gattin den mächtigen Herrscher nicht unberührt
gelassen zu haben.
Kraft seines Amtes beschloss der Großkönig seiner Amyitis einen
künstlichen Berg zu bauen mit einem exotischen Garten obendrauf.
Um diese entzückende Idee zu verwirklichen bedurfte es einiger Baukunst
inmitten einer Wüste so heiß wie ein Backofen. Zwar besaßen die
babylonischen Baumeister einige Erfahrung mit monumentalen Bauten,
doch dürfte die Konstruktion der Hängenden Gärten die Architekten
vor einige Probleme gestellt haben.
Wie
sahen die Gärten aus?
Die
Bezeichnung hängend ist sicher missverständlich und dürfte
auf einen antiken Übersetzungsfehler zurückzuführen sein. Es dürfte
sich eher um einen Terassengarten auf einem Kellergewölbe gehandelt
haben. Die Gewölbestruktur bietet am ehesten die Funktionalität
und notwendige Statik. Auf dem eigentlichen Substruktionsbau musste
dann eine Isolationsschicht aufgebracht werden, um das Mauerwerk
vor eindringender Feuchtigkeit zu schützen. Vermutlich dienten mehrer
Schichten aus Blei, Asphalt und Kacheln diesem Zwecke. Der Schutz
vor Feuchtigkeit war einer der neuralgischen Punkte der ganzen Anlage.
Ziegel aus gebrannte Lehm (vielleicht auch nur getrocknet) sind
auf Wasser nicht sehr gut zu sprechen. Normalerweise war das bei
den klimatischen Bedingungen in Babylon kein Problem, in diesem
speziellen Falle schon.
Auf die Isolationsschicht konnte schließlich Muttererde geschichtet
werden. Die Stärke der Erdschicht dürfte beträchtlich gewesen sein.
Schließlich sollen auch Bäume in den Gärten geblüht haben. Soldaten
sollen auf Anweisung des Königs Pflanzenproben von ihren Expeditionen
mitgebracht haben. So gesehen waren die Gärten am Ende eine Art
botanischer Garten, der erste seiner Art? Eine weitere , vielleicht
die eigentliche Herausforderung an die Architekten dürfte aber die
anschließende Bewässerung der Gärten gewesen sein. In Anbetracht
des Klimas muss die Verdunstung beträchtlich gewesen sein.
Für die Förderung des Wassers sind verschiedene Varianten denkbar.
Mit einer Art Förderband könnte das Wasser in Krügen zur obersten
Plattform transportiert werden und von da aus in ein feines Netz
von Röhren oder Kanälen gespeist werden. Die Verteilung würde dann
das Gefälle erledigen. Wie genau die gleichmäßige Verteilung des
Wassers gewährleistet wurde ist nicht ganz klar, vermutlich aber
über verschiedene Röhrenstärken. Eine weitere Möglichkeit wäre,
dass das Wasser an verschiedenen Punkten eingespeist wurde. Über
die Antriebsquelle des Fördermechanismus kann man einigermaßen spekulieren.
Es wird am Ende auf eine recht profane Antwort hinausgelaufen sein.
Ob es nun Lasttiere oder Sklaven waren, die den Mechanismus antrieben,
lässt sich nicht mehr entscheiden und macht aber auch nicht wirklich
einen Unterschied. Strabon vermutete Menschen als Triebkraft des
Mechanismus.
Oben
beschrieben ist der wahrscheinliche Aufbau der Gärten. Warum aber
erklärten die antiken Autoren sie überhaupt zum Weltwunder? Was
war so besonders? Die Frage ist nicht leicht zu beantworten, wie
man denken sollte. Zwar war die Anlage groß (die Quellen nennen
als Seitenlänge 120 m) doch war das eigentlich nicht genug. Rein
von der Größe her wirken die Gärten zum Beispiel im Vergleich zu
den Stadtmauern nicht besonders beeindruckend.
Ursprünglich wurde vorgeschlagen, dass die ingenieurtechnische Leistung
den Bau adelte. Hintergrund dieser Vermutung war, dass ein ausgefeiltes
hydraulisches System zur Wasserversorgung vermutet wurde. Darauf
fanden sich bisher keine Hinweise bei den Ausgrabungen. Was war
es dann? Nach unserem Verständnis repräsentiert jedes Wunder einen
Superlativ, etwas "Größtes".
Als das griechische Heer unter Alexander in Babylon einzog, müssen
zumindest noch Reste eines beeindruckenden Baus gestanden haben.
Vielleicht war es das Exotische der Idee. Substruktionsbauten waren
bei den Griechen ebenso unbekannt wie königliche Gärten. Die künstlichen
"Paradiese" scheinen eine gewisse Faszination auf die Griechen ausgeübt
zu haben. Sie waren großartig und dekadent. Vielleicht hat es auf
diesem Wege der größte dieser sonderbaren Bauten in die Liste der
Sieben geschafft. Eine Möglichkeit haben wir bisher aber völlig
außer Acht gelassen: Es gibt keinerlei Beweis, dass die Hängenden
Gärten je real existierten!
Mythos
und Martyrium
Robert
Koldewey und seine Nachfolger ergruben in Babylon die Reste zweier
Paläste. Im Palast am Ishtar-Tor entdeckte Koldewey Überreste
eines großen Gewölbebaus. Er glaubte in diesem die Überreste des
sagenhaften Weltwunders entdeckt zu haben. Zwar fiel es mit nur
45 m Seitenlänge überraschend klein aus, doch sprachen einige Indizien
für diese Identifikation.
Der Gewölbebau an sich würde sich hervorragend als Unterbau eignen.
Außerdem fand sich ein dreiteiliger Brunnenschacht - Problem gelöst?
Nicht so ganz. Zwei Details trüben das Bild. Das Erste wurde schon
genannt. Die Seitenlänge beträgt nur 45 m. Das weicht von den in
den Quellen genannten 120 m doch recht erheblich ab. Der zweite
und wesentlich gewichtigere Einwand: Der Bau liegt mitten im Verwaltungstrakt
des Palastes. Man sollte eine Anlage zur Erbauung der Königin doch
zumindest in der Nähe der Privatgemächer vermuten.
In der Forschung überwiegt heute die Ablehnung der Identifikation
des Gewölbebaus mit dem Weltwunder. Trotzdem glaubt die eine
Mehrheit der Archäologen an die Authenzität des Weltwunders an sich.
Da keiner der antiken Autoren das Weltwunder mit je eigenen Augen
sah und Herodot es eigenartigerweise nicht erwähnt, könnte es sich
ja auch um eine Erfindung, einen Mythos handeln. Damit wäre auch
das Namensproblem gelöst. Dass Semiramis mit den Gärten nichts zu
schaffen hatte, scheint einigermaßen sicher.
Ganz so einfach wollen wir es uns aber nicht machen. Im Augenblick
vermuten wir, dass wir die Reste des Gebäudes einfach noch nicht
gefunden haben. Die Ausgrabungsbedingungen vor Ort sind mehr als
schwierig. Neben den klimatischen sind es momentan vor allem die
momentanen Umstände, die politische Situation, die weitere Untersuchungen
verhindern. Verzichten wollen wir nicht auf die Gärten. Schließlich
ist es eine hinreißend schöne Geschichte und sei es auch ein Märchen
aus tausend und einer Nacht.
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